Risikowahrnehmung
Der Begriff Risiko kann auf mehr als eine Weise definiert werden. Häufig wird Risiko als die statistische Erwartung eines Ereignisses verstanden. Dann ist es das Produkt aus Schwere und die Wahrscheinlichkeit dieses Ereignisses.
Risiken werden im Wesentlichen durch Risikoabschätzungen von Experten mittels evidenzbasierter Annahmen und durch intuitive Risikowahrnehmung von Individuen und sozialen Gruppen eingeschätzt Letztere ist subjektiv und wird konstruiert. Sie fußt auf Erfahrungen, vermittelten Informationen und interessengeleiteten Einschätzungen, welche den quasi-universellen Heurismen der Urteilsbildung (Flucht, Kampf, Totstellen und neugieriges Experimentieren) folgen. Expertenabschätzungen sind nicht zwangsläufig die bessere Einschätzung über Risiken wie unter anderen Gerd Gigerenzer mit seinen „Bauchentscheidungen“ eindrucksvoll illustriert.
Radioaktivität ist von Menschen schwer einzuschätzen, da sie mit keinem Sinnesorgan wahrgenommen werden kann. Hier versagen Bauchentscheidungen, da entscheidende Erfahrungen im Allgemeinen nicht vorliegen. Trotzdem entscheiden Menschen auch in diesem Bereich intuitiv. Aus diesem Grund ist die Reflexion der Risikowahrnehmung wichtig. Mit ihrer Hilfe kann physikalisches Fachwissen in die Entscheidung eingebracht werden. Zudem ermöglicht sie die getroffene Entscheidung anderen besser zu kommunizieren.
Ein einfaches Modell der Risikowahrnehmung wird im Folgenden vorgestellt. Anhand dessen kann, sowohl die Reflexion der eigenen Risikowahrnehmung als auch die anderer durchgeführt werden.
Erwartetes Ausmaß der Folgen
Zu jedem Risiko gehören Folgen. Wie groß deren Ausmaße sind, beeinflusst maßgeblich wie das Risiko wahrgenommen wird. Wird ein großes Ausmaß erwartet, wird ein Risiko höher eingeschätzt, als wenn ein kleineres Ausmaß erwartet wird. In den meisten Fällen können durch den Einsatz von Fachwissen a) die möglichen Folgen benannt werden und b) die Ausmaße abgeschätzt werden. Im Falle der Radioaktivität lassen sich die Folgen in die zwei Klassen Frühschäden und Spätschäden unterteilen. Das Ausmaß hängt von der effektiven Dosis ab, anhand der Aussagen über die Schwere der Schäden gemacht werden können. Je genauer die Folgen und ihr Ausmaß eingeschätzt werden können, desto bessere Entscheidungen lassen sich auf dieser Basis treffen.
Im Bereich der Radioaktivität bedeutet dies, dass die Folgen der ionisierenden Strahlung zunächst bekannt sein müssen. Erst dann kann eine gute Entscheidung getroffen werden.
Erwartete Wahrscheinlichkeit für das Eintreten der Folgen
Eng mit den Folgen ist die Wahrscheinlichkeit für ihr Eintreten verknüpft. Risiken unterliegen stets Unsicherheiten, die mit Wahrscheinlichkeitsangaben quantifiziert werden können. Nur weil die Möglichkeit besteht während eines Fluges durch einen Absturz ums Leben zu kommen, ist Fliegens nicht riskant. Denn die Wahrscheinlichkeit für einen Absturz ist sehr gering.
Wie ein Risiko wahrgenommen wird, hängt daher von der erwarteten Wahrscheinlichkeit ab. Je präsenter ein Ereignis ist, etwa durch umfassende mediale Berichterstattung, desto wahrscheinlicher wird es auch eingeschätzt. Nur weil vor kurzem ein Flugzeugabsturz stattfand, heißt das nicht, dass Fliegen gefährlicher geworden ist und Abstürze in Zukunft gehäufter vorkommen werden. Intuitiv verhalten sich Menschen allerdings so als ob dem so wäre. Die Wahrscheinlichkeit für einen Flugzeugabsturz wird dann überschätzt und das Risiko größer wahrgenommen als es ist. Ereignisse ohne eine solche Präsenz werden häufig in ihrer Wahrscheinlichkeit unterschätzt.
Im Themengebiet Radioaktivität stellt sich die Frage, wie wahrscheinlich Spätschäden durch eine entsprechende Exposition mit ionisierender Strahlung sind. In der folgenden Abbildung ist die zusätzliche Wahrscheinlichkeit für eine Krebserkrankung gegen die effektive Dosis aufgetragen. Eine Exposition von 300 mSv erhöht die Krebserkrankungswahrscheinlichkeit um etwa 1,5%. Eine Exposition ionisierender Strahlung bestimmter Höhe kann direkt mit der Wahrscheinlichkeit für eine Erkrankung in Verbindung gebracht werden.
Mit Hilfe von spezifischem Fachwissen ist es somit möglich, die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten von Folgen abschätzen zu können.
Grundhaltung
Die Grundhaltung bildet sich unter anderem aus gemachten Erfahrungen, vermittelten Informationen und dahinter stehenden Interessen. Aufgrund dessen sind Menschen bezüglich einer Risikoquelle voreingenommen. Ihre Einstellung ihr gegenüber kann von negativ bis positiv reichen. Auch das Verhalten gegenüber Risiken generell wird von den gemachten Erfahrungen und Informationen beeinflusst. Die Art und Weise grundsätzlich mit Risiken umzugehen kann von stark beunruhigt bis gelassen reichen. Während sich die Einstellung eines Individuums bezüglich verschiedener Risikoquellen unterscheidet, unterscheidet sich der grundsätzliche Umgang mit Risiken aller Art zwischen verschiedenen Individuen.
Entscheidungen bezüglich einer Risikoquelle, der ein Mensch negativ gegenüber eingestellt ist, fallen anders aus als wenn ein Mensch ihr positiv gegenüber steht. Durch die Reflexion der eigenen Grundhaltung kann dadurch insbesondere die Risikokommunikation verbessert werden.
Ziel des Unterrichts soll es nicht sein, den Schülerinnen und Schülern intuitive Entscheidungsfindung abzugewöhnen. Das ist weder möglich noch zielführend. Intuitiv getroffene Entscheidungen sollen jedoch mit Fachwissen reflektiert werden, um sie gegebenenfalls daran anzupassen.
Letzte Änderung am 17.08.17, 22:00